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Althing-Wahl in Island

Umwelt und Industrie als vereinbare Gegenpole?

 

Ein knappes Resultat ist bei den isländischen Parlamentswahlen am Samstag zu erwarten. Es erscheint unsicher ob die Mitte-Rechts-Regierungskoalition ihre Mehrheit behalten kann. Die zunehmende Abneigung der nur 300.000 Isländer gegen industrielle Grossprojekte, die mit gewaltigen Eingriffen in die unberührte Natur verbunden sind, gibt der linken und grünen Opposition Auftrieb. Die Meinungsumfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin, das neue Regierungskonstellationen notwendig machen könnte.

 

mat. Stockholm, 10.Mai

 

Vor ein paar Wochen erst lieferten die Ofenwerker und Giesser von Alcoa Fjardaal, dem neuesten und grössten Schmelzwerk Islands, das erste Aluminium. Eine heisse Debatte ist in den letzten Jahren über die industrielle Zukunft des Landes entbrannt und versorgte den Wahlkampf mit Zündstoff. Die isländische Wirtschaft boomt wie nie zuvor. Das Land profitiert endlich in grossem Stil von seinen nicht exportierbaren Energiequellen, heissem Geisirwasser aus dem Erdinneren und Strom aus Staukraftwerken. Der billige Strom hat Investoren aus der energieintensiven Aluminiumindustrie aus den USA, Kanada und Norwegen angelockt. Drei Aluminiumfabriken sind bereits in Betrieb, drei weitere in Planung. Ende März aber signalisierten die Bürger des 20.000 Einwohner zählenden Städtchens Hafnarfjordur in einem Referendum, dass sie es sich doch noch einmal überlegt hatten. Hatte man noch im vorigen Jahr einem Ausbau der bestehenden Anlage des kanadischen Aluminiumgiganten Alcan zugestimmt, so gab es nun ein Nein mit einem Überhang von nur 88 Stimmen.

 

Neue Schmelzwerkprojekte verzögert

Der konservative Regierungschef Geir Haarde sah sich zur Reaktion gezwungen. Dieses und andere Industrieprojekte könnten nun nicht mehr im geplanten Tempo durchgezogen werden, meinte er. Die Wahlen am Samstag sind der erste Test für den Parteichef der stimmenstärksten, konservativen Unabhängigkeitspartei (Sjálfstaedisflokkurinn), die in den 60er und 90er Jahren in zwei Schüben die Liberaliserung der Wirtschaft vorantrieb. Zuerst in Richtung Freihandel durch Abschaffung der strikten Importkontrolle, sodann durch die Mitgliedschaft im EWR. Beide Schritte haben die Konservativen jeweils in Koalitionen mit den Sozialdemokraten vollzogen. Der jetzige Koalitionspartner Haardes ist aber die, ehemals bäuerliche, Fortschrittspartei (Framsóknarflokkurinn), die nun vor allem die Interessen der kleinen ländlichen Industrien und der Fischereibetriebe repräsentiert, ihre Wählerschaft aber zunehmend in den Städten findet. Während die Fortschrittspartei auf lokaler Ebene nicht selten mit linken Parteien kooperiert, regiert sie seit 1995 Island gemeinsam mit der Unabhängigkeitspartei, und hat sich in dieser Koalition zunehmend aufgerieben. Während die Unabhängigkeitspartei stetig Wähler dazugewann, schrumpfte der Anteil der Fortschrittspartei immer stärker. Nach zwölf Jahren Regierungszusammenarbeit zeigen nun  beide Parteien Koalitionsmüdigkeit.

 

Bürgerliche Koalition ungewiss

In den beiden diese Woche von Morgunbladid veröffentlichten Umfragen erreichten die beiden Regierungsparteien zusammen zwischen 48 und 50 Prozent, womit sie mit 31-33 der insgesamt 63 Parlamentssitze rechnen können. Verfehlen sie die Mehrheit knapp, dann wäre –zumindest rechnerisch- die Hereinnahme der Liberalen Partei (Frjálslyndi flokkurinn) in die Koalition denkbar, die es auf 3-4 Sitze bringen dürfte. Sie ist seit 1998 das Produkt einer Abspaltung von der Unabhängigkeitspartei, gegen deren neoliberale Tendenzen man sich wendet, und entstand aus Protest gegen die Fischereipolitik, die seit den 80er Jahren den kleinen Fischern den Verkauf ihrer Rechte an grosse Unternehmen gestattet, was in einer  Konzentration der Fangquoten auf ein Dutzend Fischereiunternehmen resultierte, die nun rund 70 Prozent aller Rechte halten. Als denkbarer Koalitionspartner dürften die Liberalen sich jedoch jüngst mit Botschaften ausmanövriert haben, die rundum als ausländerfeindlich gedeutet wurden.

 

Die sozialdemokratische Allianz (Samfylkingin) verliert gemäss Umfragen verglichen mit den letzten Wahlen deutlich. Noch bei den Wahlen 1999 trat sie als Wahlbündnis an und wurde erst im Mai 2000 als Partei gegründet, wobei Sozialdemokraten, Eurokommunisten und Frauenliste ihre bisherigen Organisationen zusammenschlossen. Der gemeinsame Nenner dieser bunten Truppe ist die Leidenschaft für Gleichheit, die bei der isländischen Mittelschicht nicht ungeteilt auf Zustimmung stösst. Laut den Umfragen bringt es die Allianz jetzt auf 25-27 Prozent der Stimmen, ein klarer Verlust gegenüber 31 Prozent 2003. Die Allianz-Vorsitzende und frühere Bürgermeisterin der Hauptstadt Reykjavik, Ingibjörg Solrun Gisladottir, muss aber zumindest theoretisch als Anwärterin auf den Premierposten im Fall eines Wahlsiegs der Opposition gelten.

 

Auf der linken Seite des Parteienspektrums hat die Allianz diesmal Mal starke Konkurrenz von den Linksgrünen (Vinstri graenir) erhalten, die sich genau wie die Allianz, zusammengewürfelt aus Feministinnen, Sozialdemokraten und Postkommunisten, 1999 erstmals als Partei formiert hatten. In den Umfragen lagen die Linksgrünen noch vor ein paar Monaten vor der Allianz, sie werden jetzt immerhin auf gut 14-16 Prozent eingestuft. Jedenfalls hat keine andere Partei das gesteigerte Umweltinteresse, die Sorge vieler Isländer um ihre unberührte Landschaft, derart kapitalisieren können wie die Linksgrünen. Im grünen Wasser, aber ohne ideologische Vorzeichen, fischt auch die erst neulich von Medienschaffenden und Künstlern gegründete Bewegung für Island (Íslandshreyfingin), die gemäss Umfragen um die 3 Prozent erreichen und damit den Einzug ins Parlament verfehlen dürfte.

 

Grosse Koalition nicht länger undenkbar

Umwelt kontra Industrialisierung war das Hauptthema der ersten Phase im Wahlkampf. Doch je näher der Wahltag rückt, umso deutlicher besinnen sich viele Bürger auch des wirtschaftlichen Booms und des damit verbundenen allgemeinen Wohlstands der letzten Jahre. Die traditionellen politischen Fragen, Wachstum und Wohlfahrt, sind stärker ins Zentrum der Wahldebatte gerückt. Falls die Regierung eine klare Mehrheit erzielen sollte, wäre der Wählerauftrag eindeutig. Landen die beiden Regierungsparteien hingegen nur knapp über oder unter der Mehrheit von 32 Althing-Sitzen, dann rückt die Möglichkeit einer ,,grossen” Koalition zwischen konservativer Unabhängigkeitspartei und sozialdemokratischer Allianz in den Bereich des Möglichen. Nicht zuletzt der Wechsel im Parteivorsitz der Konservativen von dem eher despotischen früheren Langzeit-Premier David Oddsson zum wesentlich geschmeidiger agierenden Geir Haarde könnte die Tür zu einer Koalition über die Blockgrenzen ermöglichen. Während Oddsson und die Führerin der Sozialdemokraten Gisladottir einander nicht ausstehen konnten, schlugen Haarde und Gisladottir in einem TV-Duell in dieser Woche eher konfrontationsbefreite Töne an, die von Reykjaviker Beobachtern sofort dementsprechend gedeutet wurden.

 

Eine solche Lösung könnte auch dem EU-Anschlussgedanken, der im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte, Auftrieb geben. Die Allianz ist seit jeher für den EU-Beitritt, und auch bei den Konservativen hat sich –nach früherer klarer Ablehnung- die Einsicht verbreitet, dass ein Beitritt zur Währungsunion mehr Stabilität bringen würde als die winzige isländische Währung, die in den letzten Jahren wirtschaftlichen Booms nicht selten massiven ausländischen Spekulationen ausgesetzt war. Auch sind die traditionell engen Bande Islands zu den USA deutlich abgekühlt, seit die amerikanische Regierung im Vorjahr die Militärbasis Keflavik schloss und damit das kleine, militärfreie NATO-Land seiner Landesverteidigung beraubte.

 

Eine eher originelle als realistische Regierungskonstellation muss noch erwähnt werden, weil sie von der grössten Zeitung des Landes, Morgunbladid, propagiert wurde. Die Zukunft des Landes in ihrem Widerspruch zwischen Umwelt und Wirtschaftswachstum  wäre demnach am besten in den Händen einer grünkonservativen Koalition aufgehoben. Die Idee erscheint vielen Isländern als Phantasie eines träumerischen Chefredakteurs. Ob eine solch kontroverse Konstellation aber überhaupt mehrheitsfähig wäre, darüber geben am Samstag die isländischen Bürger Auskunft.