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Exportboom in Schwedens Rüstungindustrie

Beträchtliche ausländische Besitzanteile

 

Obwohl die regierenden Sozialdemokraten die Dezimierung des Waffenexports auf ihre Fahnen geschrieben hat die Branche die Ausfuhr von Militärmaterial seit 2002 vervierfacht. Allerdings sind viele der schwedischen Parademarken, wie SAAB, Bofors oder Hägglunds, inzwischen teilweise oder ganz in ausländischem Besitz.

 

mat. Stockholm, 15.August

 

Die schwedische Waffenindustrie ist gut in Schuss. Für 2005 bezifferte die Branchenvereinigung Försvarsindustriföreningen den Gesamtumsatz ihrer Mitgliederunternehmen mit 34 Mrd.sKr. 3/4 davon wurden als Militärgüter klassifiziert, d.h. die Lieferungen gingen direkt an in- oder ausländisches Militär. Allein für Waffen und Munition betrug der Umsatz knapp 14 Mrd, wobei hier die Lieferungen an die schwedischen Streitkräfte um 1 Mrd.sKr. zurückgingen.

 

Grenzüberwachung dank Saab

Während seit dem Ende des Kalten Krieges das schwedische Militär mit immer weniger Geld auskommen muss, wandte die Industrie sich stärker als je zuvor dem Ausland zu. Im Vorjahr exportierten schwedische Unternehmen Waffen und Militärgüter im Wert von 8,6 Mrd. sKr., viermal mehr als 2002. Ein Paradebeispiel ist Saab. Das Unternehmen ist nach Akquisitionen mit fast 14 000 Beschäftigten grösser als der Rest der nordischen Waffenindustrie zusammen. Bestellungen im Wert von  48 Mrd.sKr. liegen vor, davon 75% Exportgüter. Im Vorjahr verkaufte die Firma zum ersten Mal in der Firmengeschichte mehr im Ausland als in Schweden selbst. Dabei ist das milliardenschwere Militärfluzeug JAS Gripen, mit dem die schwedische Luftwaffe ausgerüstet wurde, das aber im Export sehr schwach reussierte, vermutlich bereits ein Auslaufmodell. Die Hoffnungen knüpfen sich dagegen an das Projekt des unbemannten Flugzeugs Neuron, das zusammen mit Dassault in Frankreich entwickelt werden soll. Inzwischen hat Saab auch die Ericsson-Tochter Ericsson Microwave Systems erworben, die im Vorjahr 3 Mrd.sKr. an Umsatz erwirtschaftete, und deren Radarlösungen als wettbewerbsfähig  einzustufen sind. Aus Pakistan momentan eine bedeutende Bestellung für das Radarsystem Erieye, kombiniert mit Saab 2000-Maschinen vor. Erieye wird nicht nur für militärische Zwecke, sondern auch zur Überwachung von Warentransporten und Menschenschmuggel angewandt. Laut Saab hat die brasilianische Regierung mittels dieses Systems über 50 Flugfelder entdeckt, die für Drogenschmuggel verwendet wurden.

 

Kampfwagen für den Landkrieg

Gute Zeiten erlebt auch die Traditionsfirma Hägglunds, die auf Gerät für den Krieg zu Lande , unter anderem gepanzerte Fahrzeuge, spezialisiert ist. Sie hat gegenwärtig Bestellungen im Wert von fast 12 Mrd.sKr. vorliegen, was dem Vierfachen des Jahresumsatzes entspricht, der sich in den letzten zehn Jahren auf 3 Mrd.sKr. verdreifacht hatte. 90 % der Produktion gehen in den Export. Vom Terrainfahrzeug Bv 206 wurden bislang 11 000 Stück in 40 Länder verkauft. Gegenwärtig bewirbt man sich um die Lieferung von 4 000 splittergeschützten Kampfwagen für die britische Armee. Die neuentwickelten Fahrzeuge können sowohl mit Rädern oder Ketten betrieben werden, und sind für feindliches Radar nur schwer zu entdecken. Sie entsprechen damit auch den gegenwärtigen Trends in der Landkriegführung wie z.B. im Irak-Krieg.

 

Robot 70 - auch in verbotenen Zonen

Die Kanonenfabrik Bofors, die in den 80er Jahren im Rahmen des dahin historisch grössten schwedischen Waffenexportgeschäfts mit Indien unter Rajiv Ghandi in einen Bestechungsskandal verwickelt war, entwickelt zusammen mit einer amerikanischen Firma eine neue lenkbare Artillerigranate. Ein Klassiker im Produktportefeuille ist das Panzerabwehrrohr AT4, das sich in seiner jüngsten Version vor allem zur Kriegführung im Häuserkampf eignet. Von der US-Army hat man dafür eine umfassende Bestellung vorliegen. Die Firma denkt aufgrund der grossen Nachfrage hier sogar an eine künftige Lizenzproduktion in den USA. Hinter dem alten Namen Bofors verbergen sich heutzutage zwei Firmen. Die Kanonenfabrik BAE Bofors Defence AB mit einem Umsatz von 1,2 Mrd.sKr., wovon die Hälfte aus dem Export stammt. Und die Saab-Tochter Saab Bofors Dynamics, die auf Bestellungen für 10 Mrd.sKr. sitzt, wobei 80% ins Ausland gehen werden. Hier wird ein anderen Klassiker, die Luftabwehrrakete Robot 70 hergestellt, die längst nicht nur in von der schwedischen Regierung sanktionierten Ländern zum Einsatz kommt, sondern die auch in "verbotenen" Zonen im Nahen Osten aufgetaucht ist.

 

BAE grösster ausländischer Akteur

Auch die Kockums-Werft sowie die Volvo-Tochter Volvo Aero tauchen in der Kriegsmaterialstatistik auf. Die Werft, die mit einem Umsatz von 1,2 Mrd. sKr. der deutschen Firma HDW gehört, liefert nunmehr ausschliesslich Militärgerät in Form von U-Booten und Korwetten. Volvo Aero macht mit 800 Mio.sKr. Umsatz 1% des Konzernvolumens aus. Hergestellt werden u.a. U-Boot-Motoren sowie Teile für Militärflugzeuge wie JAS Gripen und die amerikanische F18.

 

Grosse Teile der schwedischen Rüstungsindustrie befinden sich nunmehr in ausländischem Besitz, wobei die britische BAE (British Aerospace) wesentlichster Einflussfaktor ist. Saab ist zwar immer noch dem Finanzimperium Wallenberg zuzurechnen, das via die Investmentfirma Investor sowie die Wallenberg-Stiftung anteils- und stimmenmässig den grössten Einfluss hat. Doch seit 1998 besitzt BAE einen 20%-Anteil an Saab und damit auch an Saab Bofors Dynamics. Die Kanonenfabrik Bofors gehört der amerikanischen BAE-Tochterfirma, und

Hägglunds gehört BAE zur Gänze.

 

Doppelzüngige Politik

Die Politik hat ein ambivalentes Verhältnis zu den blühenden Waffenexportgeschäften der heimischen Industrie, die im weltweiten Vergleich als neuntgrösster Waffenexporteur gilt. Entgegen den offiziellen Intentionen liefert Schweden Waffen an mehrere NATO-Länder, wie USA und Grossbritannien, obwohl das schwedische Gesetz Lieferungen an kriegführende Nationen verbietet. Auch Pakistan und Saudiarabien sind unter den Lieferadressen, obwohl in Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen, eigentlich nicht exportiert werden dürfte. Ein allianzfreies Land benötigt eine autarke Versorgung mit Waffen, so lautet seit jeher die politische Doktrin, die man Gegnern der Rüstungsindustrie jeweils entgegenhält. Und: ein kleines Land könne sich ohne Export die Entwicklung moderner Waffensysteme nicht leisten. Der Parteikongress der regierenden Sozialdemokraten beschloss zwar im vorigen Jahr, dass der Rüstungsexport eingeschränkt werden müsse. Die zuständige Ministerin, Ulrika Messing, gab aber dazu neulich in einem Zeitungsinterview ihre Deutung. Es handle sich um ein globales Ziel. Die Waffenexporte sollten weltweit verringert werden. Schweden habe ja daran nur einen kleinen Anteil.