back to >>> PUBLISHED

 

Schwedens Industrie fordert staatlichen Eingriff

Basisunternehmen in der Energie-Zwickmühle

 

Energieintensive schwedische Branchen wie Papier und Stahl fordern den Staat auf, in punkto Stromversorgung und Strompreis einzugreifen. Die hohen, unsicheren Energiepreise haben ihren Investitionswillen kräftig zurückgestutzt. Die Gewinne landeten stattdessen auf dem Konto der, durch politische Beschlüsse blockierten, Energiewirtschaft.

 

 

mat. Stockholm, 23.März

Die Privatisierung der Energiewirtschaft in Schweden soll rückgängig gemacht werden. Diese Forderung erheben nicht etwa die Grünen oder die postkommunistische Linkspartei, sondern es ist schwedische Industrie, die angesichts der enorm gestiegenen Strompreise nach Vater Staat ruft. Wenn es nach den Wünschen der energieintensiven Traditionswirtschaftszeige geht, soll die Energieerzeugung, die 1996 dereguliert worden war, unter staatliche Fittiche genommen werden, wobei die Branchen Papier, Stahl, Bergbau, Chemie, Kunstoff sowie Pharmazeutik geschlossen hinter der Forderung stehen.

 

Die Botschaft an die Politiker wurde an einem Seminar über die Lage der schwedischen Prozessindustrien am Mittwoch verkündet, wobei an der dahinter stehenden Analyse auch die staatlichen Ämter für Innovation und Entwicklung, NUTEK und Vinnova, beteiligt waren,  die die Einschätzung der Unternehmerschaft teilen.

 

Oligopol auf dem Strommarkt

 

Demnach hat sich Schwedens deregulierte Energiewirtschaft zu einem Oligopol entwickelt. Eine Welle von Strukturgeschäften folgte auf die Deregulierung von 1996, wobei die grossen Stromproduzenten die kleineren reihenweise aufkauften. Pikanterweise waren die Verkäufer der von den Grossen aquirierten Energiebetriebe neben Gemeinden oft auch jene Unternehmen , die sich nun staatliche Eingriffe wünschen. So besteht die Energiewirtschaft heute im Grossen und Ganzen aus nur drei Akteuren. Die schwedisch-staatliche Vattenfall liefert 50% des schwedischen Stroms, die deutschdominierte EON 23%, und die finnische, staatlich kontrollierte Fortum 16%. Lediglich die restlichen 11% der elektrischen Versorgung kommen von einer Reihe kleinerer Lieferanten. Via Gewinnausschüttungen von Vattenfall sowie die Steuern auf Haushaltsstrom, die ungefähr ein Drittel des Haushaltspreises ausmachen, kassiert der schwedische Fiskus jährlich fast 40 Milliarden sKr.

 

Die schwedischen Basisindustrien waren Jahrhunderte lang von billigen Rohstoffen wie Holz, Erzen und Strom verwöhnt, welche die hohen Kosten, die durch die langen Transportwege auf die Märkte enstanden, ausglichen. Seitdem die Energiepreise in die Höhe geschnellt sind, ist dieser Konkurrenzvorteil verschwunden. Weil früher der Strompreis kein grosser Kostenfaktor war, investierte etwa die Papierindustrie, die heute für gut ein Drittel des gesamten schwedischen Stromverbrauchs steht, hauptsächlich in solche Industrieprozesse, die beim Rohstoff Holz sparsam sind, dafür aber jede Menge, früher billigen, Strom verbrauchen.

 

Jobless-Growth

 

Die jetzige Analyse zeigt, dass in den letzten Jahren die Investitionen in den Prozessindustrien drastisch zurückgegangen sind, wofür die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Strompreise eine Hauptursache sei. Tatsächlich ist die Investitionsquote in der Papier- und Zelluloseindustrie innert weniger Jahre von 30 auf 20% gesunken. Indem die Gewinne nicht länger für konstruktive Investitionen verwendet werden, trage die Entwicklung zum vorherrschenden „jobless-growth“ bei, wo gutes wirtschaftliches Wachstum sich nicht länger in mehr einer verstärkten Nachfrage nach Arbeitskräften niederschlägt.

 

Die industriellen Gewinne, die in der Sichtweise der betroffenen Industrien, früher in Produktentwicklung und eine Erhöhung der Produktionskapazitäten investiert werden konnten, landen jetzt im Säckel der Energiewirtschaft. Dort wiederum verhindern die Politiker einen Ausbau der Kapazitäten. Tatsächlich setzte ja 1980 ein Referendum den Endpunkt für den Ausbau der Atomkraftwerke. Und der Ausbaufähigkeit der Wasserkraftnutzung in den grossen nordschwedischen Flüssen stehen starke Umweltschutzargumente im Weg. Daran wird momentan kaum gerüttelt werden können, denn die sozialdemokratische Minderheitsregierung ist von der parlamentarischen Unterstützung durch die Grünen abhängig. Zudem verschlingt ein Aufbau neuer Produktionskapazitäten für Strom enorme Summen, was verhindert, dass neue Akteure auf den Plan treten. Ein genuiner Wettbewerb sei auf dem Energiesektor daher derzeit illusorisch, meinen die Industrievertreter. Womit Gewinne, die auf jenem Sektor erzielt werden, der Wachstumsmöglichkeiten hat, auf einen den Sektor überführt, dem Wachstumsmöglichkeiten versperrt seien, und dem nichts anderes übrig bliebe, als seine Gewinne bei den Eigentümern abzuliefern.

 

Premier Persson verständnisvoll

 

Wälder, Erz und Wasserkraft begründeten einst den Wohlstand des Landes. Aus dieser Tradition stammt immer noch ein Gutteil typisch schwedischer Produkte, heute allerdings in mittels Hochtechnologie veredelter Form. Die rohstoffbasierten Industrien beschäftigen 320.000 Arbeitnehmer, rechnet man die indirekt bei Zulieferfirmen, Maschinenbauern und am Dienstleitungssektor Beschäftigten hinzu, landet man bei über 600.000. Die Prozessindustrien stehen für 30 % des schwedischen Exports, und da man selbst nur auf wenige Importe angewiesen ist, für über 60% des Nettoexports. Auch aus regionalpolitischer Sicht sind die Unternehmen der Prozessindustrie von Bedeutung. An ihren Hauptorte im dünn besiedelten Norden des Landes sind diese Industrien die einzigen nicht-öffentlichen Arbeitgeber von Bedeutung.

 

Wenn jetzt die traditionellen schwedischen Basisindustrien Papier und Stahl den Staat um weniger Marktwirtschaft bitten, weil ihnen die steigenden Strompreise die Gewinne schmälern, soll dies im Wahljahr 2006 die Politiker schmerzen. Der Mangel an echten Arbeitsplätzen ist die Achillesferse des sozialdemokratischen Regierungschefs Persson, der sich in sechs Monaten Parlamentswahlen stellen muss, wobei seine Chancen momentan nicht gut aussehen. Persson hat auf die Forderung der Industrie –wenn auch leicht höhnisch- mit Zustimmung reagiert. Dass eine Verstaatlichungsforderung von der Industrie komme, finde er interessant,  er selbst sei ja von Anfang an dagegen gewesen, den Energiemarkt zu deregulieren. In Wirklichkeit ist Perssons Handungsspielraum aber stark durch gesamteuropäische Wettbewerbsregeln begrenzt. 40% der schwedischen Stromproduktion sind ausserdem heute in ausländischer Hand. Planungsministerin Mona Sahlin schlug dazu noch vor, die Gewinne der Energiewirtschaft härter zu besteuern, und dafür die Steuern auf Strom zu senken. Allerdings: der schwedische Staat wird an die Gewinne der ausländischen Firmen Fortum und Eon nicht herankommen. Und der Gewinn der staatlichen Vattenfall landet ohnehin beim schwedischen Finanzminister. Und die Senkung der Steuern auf Strom käme ohnehin weniger den energieintensiven Industrien zugute als den privaten Hauhalten. Haushaltsstrom wird viel stärker besteuert als Strom für industrielle Nutzung. Aber vielleicht kommt es bei Wahlbonbons ohnehin mehr auf die Verpackung an  als auf den Inhalt.